Aggressivität im Straßenverkehr

Rasen, drängeln, überholen – Aggressivität im Straßenverkehr

Es dürfte weltweit kein Autoratgeber existieren, der Fahrer dazu ermutigt unverhältnismäßig aufs Gaspedal zu treten oder anderen Verkehrsteilnehmern so dicht auf die Pelle zu rücken, dass diese nicht nur gefährdet, sondern auch genötigt werden. Dennoch scheint genau dieser Typ Autofahrer die Oberhand im Straßenverkehr zu haben: Raser, Drängler und riskante Überholmanöver verursachen immer häufiger schwere Unfälle, die unschuldige Verkehrsteilnehmer das Leben kosten. Verkehrspsychologen versuchen die Motivation der Straßen-Rambos zu ergründen und haben eine interessante Feststellung gemacht.

Den oft zitierten „Temporausch“ gibt es gar nicht

Die Aussagen von Rasern in anonymen Interviews oder in Internetforen sind häufig identisch: Es sei der „Kick“, der zum Rasen verführt, der „Rausch der Geschwindigkeit“. Doch wie das Wiener Kuratorium für Verkehrssicherheit in einer Studie herausfand, gibt es den vielzitierten Geschwindigkeitsrausch überhaupt nicht. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass sich der Hormonspiegel des Menschen auch beim sehr schnellen Fahren nicht nennenswert verändert. Die Universität Zürich benannte dagegen das sogenannte „Sensation-Seeking“, also die Suche nach Abwechslung, Erlebnissen und neuen Reizen als Ursache bei über der Hälfte aller Raser. Für die übrige Aggressivität im Straßenverkehr gibt es unterschiedliche Erklärungen, wobei die allermeisten nicht im Geringsten mit anderen Verkehrsteilnehmern zu tun haben, sondern mit etwas, das uns sehr nahe steht: dem Ego.

Selbstbestätigung – Sandkasten-Gehabe auf die Straße verlagert

Verkehrspsychologen sehen in den Aggressionen im Straßenverkehr keinen Selbstzweck, sondern die Durchsetzung des eigenen Willens. Misslingt diese Durchsetzung, zum Beispiel dann, wenn ein langsameres Fahrzeug die linke Autobahnspur „blockiert“, fühlt sich der ausgebremste Fahrer als „Opfer“ und wird aggressiv. Der aggressive Fahrer macht dabei aus eigener Sicht niemals selbst Fehler, sondern sucht die Schuld immer beim Anderen. Der Versuch, die eigene Opferrolle zu korrigieren, verursacht anschließend die meiste Aggressivität im Straßenverkehr. Oder anders ausgedrückt: Aggressive Fahrer wollen der Chef im Sandkasten sein und setzen das mit allen Mitteln durch.

Parallelen zwischen Verhalten im Alltag und im Straßenverkehr

In der Dokumentation „Der Autobahnkrieg – Woher die Aggression auf den Straßen kommt“ des Fernsehsenders „3Sat“, weist der Hamburger Verkehrspsychologe Jörg-Michael Sohn auf einen Zusammenhang des Fahrstils und Lebensstils einer Person hin. Wer in Gesellschaft eher impulsiv sei und sich daneben benehme, sei es auch, der im Straßenverkehr durch übermäßiges Fehlverhalten öfter Unfälle provoziere. Parallelen zum Berufsleben sind ebenso deutlich: Wer sich beruflich „nicht ausbremsen“ lasse, neigt dazu, die Rücksichtslosigkeit auf die Straßen zu übertragen. Ein Indiz, das diese Annahme stützt, ist, dass Oberklassenfahrzeuge mit männlichen Fahrern statistisch am häufigsten wegen Gefährdung, Nötigung und Beleidigung im Straßenverkehr angezeigt werden.

Je höher der Stellenwert des Autos im Leben, desto aggressiver die Selbstbestätigung

Autoratgeber weisen immer wieder auf eine vernünftige Fahrweise hin. Das Problem an der Sache ist allerdings, dass eine Betrachtung nur im Straßenverkehr zu kurz greift. Wie der Würzburger Diplom-Psychologe Christian Maag in der 3Sat-Doku erklärt, spielt die persönliche Bindung zu einem Fahrzeug eine wesentliche Rolle auf das Verhalten im Straßenverkehr. Wer beispielsweise viel Geld für sein Auto in die Hand nimmt, viel Zeit in sein Fahrzeug investiert und ansonsten keine Möglichkeit hat, sich selbst zu bestätigen, für den wird der Kampf mit anderen Verkehrsteilnehmern zur existentiellen Frage. Sprechen Autoratgeber oder ganze staatliche Kampagnen also die Vernunft der PKW-Führer zu einem vorsichtigeren Fahren an, so mag das gut gemeint sein, in der Breite allerdings wirkungslos bleiben.

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